Der erste Eindruck ist fürn A*****

Der erste Eindruck ist fürn A*****

Ich möchte heute mit einer sehr direkten und indiskreten Frage starten: Kennst Du das, wenn Du jemanden das erste Mal triffst und Du Dir ganz spontan, ohne Nachzudenken, einfach so aus dem Bauch heraus denkst: „Was bist Du eigentlich für ein Idiot?“ Ja? Puh, dann bin ich wirklich beruhigt! Idioten haben einfach so eine ganz bestimmte Aura, die man schon 10 Meter gegen den Wind riechen kann. Letztens war ich zum Beispiel mal wieder im Fitness-Studio. Wie Du vielleicht schon mitbekommen hast, geh ich da wirklich sehr regelmäßig hin. Man spart sich einfach eine Menge Geld, wenn man nicht zu Hause duschen muss, aber egal. Gerade als ich durch die Tür marschiere, kommt mir ein ganz spezieller Geruch entgegen. Du ahnst es vielleicht schon? Richtig, ein Idiot, keine 10 Meter von mir entfernt. Nein, er stemmt nicht etwa Gewichte. Stattdessen hat er seinen linken Arm im 90 Grad Winkel angespannt, während er in der rechten Hand sein Smartphone hält und sich damit selbst fotografiert. Ich denk mir noch: „Na gut, man kann ja mal ein Foto machen.“ Aber als er nach 45 Minuten (!) immer noch in der gleichen Position vor diesem Spiegel steht, werde ich langsam misstrauisch.

In einem Fitness-Studio ist es recht ähnlich wie beim Seniorentreff oder wie bei der NSA. Du musst nur die richtigen Leute fragen und Du bekommst jede Info, die Du brauchst. Nach ein paar Gesprächen konnte ich herausfinden, dass der besagte Mann ein „Fitness-Influencer“ ist. Über 80.000 Follower auf Instagram! Das ist ziemlich beeindruckend, wie ich finde, dass es so viele Menschen gibt, die einer Person folgen, die eine Stunde in der gleichen Position vor dem Spiegel steht, 1000 Fotos macht, das Beste dann noch 3 Stunden lang nachbearbeitet, um dann zu posten: „Nur mal ein kurzer Schnappschuss vom meinem Training. Was machst Du so heute? Schreib es einfach in die Kommentare.“ ES GEHT DICH EINEN SCHEIß AN, WAS ICH HEUTE MACHE, vor allem deswegen, weil es Dich ohnehin nicht interessiert!

Drei Stunden später verlässt er dann das Studio. Zu Hause angekommen, folgen noch zwanzig Storys darüber, wie er sich sein Abendessen, bestehend aus Brokkoli, Hühnchenbrust und zehn Tabletten einverleibt, nur um dann den restlichen Abend alleine zu Hause zu sitzen und einsam seine Likes zu zählen.

Versteh mich bitte nicht falsch, ich finde Social Media auch gut und es gibt Influcener, die einen wirklich guten und wichtigen Job machen, ABER leider nehmen Äußerlichkeiten einen immer größer werdenden Stellenwert in unserer Gesellschaft ein.„Fake it until you make it“ wird zum Leitsatz, um sich durch die Welt von Facebook, Instagram und anderen Medien zu mogeln. Das Problem dabei ist nur, dass die meisten, die das versuchen, niemals bis zum „make it“ kommen werden. Was für sie auf Instagram zählt, sind die Likes! Was auf Tinder zählt, sind Matches! Was bei einer Fußballweltmeisterschaft zählt, sind die perfekt sitzenden Haare für die Kamera! Und was bei einem Geschäftsessen zählt, ist die Armbanduhr und wenn es nur die Türkei-Rolex ist. Leider bekommen in unserer Gesellschaft eben diese Menschen, die nach außen hin einen perfekten Eindruck vermitteln, viel zu schnell und viel zu viel Aufmerksamkeit.

Ist doch egal, könnte man sich jetzt denken oder? Was kann eine hübsche Fitness-Influencerin, die braungebrannt und mit einer scheinbar perfekten Figur auf Instagram erklärt, wie man am besten abnimmt, schon anrichten? Wo ist das Problem, wenn ein Möchtegern-Guru auf Youtube mit nacktem Oberkörper und aufgepumpter Brust seinen geistigen Dünnpfiff zum Thema Kraftsport verbreitet? Was ist schlimm daran, wenn ein Klappergestell im Fernsehen die Worte verkündet: „Ich habe heute leider kein Foto für Dich.“? Was schlimm daran ist? 440.000 Fälle von Essstörungen (2016), Tendenz steigend! Bei den stationären Klinikaufenthalten waren dabei mehr als ein Viertel Mädchen unter 15 Jahren! Einer Studie der Sporthochschule Köln zufolge gaben 7 Prozent der Befragten zwischen 15 und 22 Jahren zu, in den letzten zwölf Monaten Anabolika konsumiert zu haben. Stellt sich jetzt immer noch die Frage, was schlimm daran ist? Die Zukunft unseres Landes hungert, kotzt und spritzt sich kaputt, weil sie dem Ideal eines Idioten hinterherlaufen, der sein eigenes Leben selbst nur auf Fake und beschissenen Filtern aufgebaut hat.

Die Frage, die sich hier stellt, ist doch: warum folgen wir solchen Menschen? In der Psychologie spricht man dabei vom sogenannten Halo-Effekt. Man schließt von einer bekannten Eigenschaft einer Person auf unbekannte Eigenschaften. In den beschriebenen Fällen hat eine Person beispielsweise ein gepflegtes Äußeres, eine schicke Armbanduhr und kann sich noch dazu eloquent ausdrücken. Automatisch gehen wir dann davon aus, dass diese Person auch in anderen Bereichen vertrauenswürdig ist und ihr Leben unter Kontrolle hat. Doch es kommt noch schlimmer! Anstatt das zu hinterfragen, bekräftigen wir andere mit folgendem Satz sogar noch darin, es ihnen gleich zu tun. „Der erste Eindruck ist der wichtigste.“ Das ist einer der dümmsten Sätze der Menschheitsgeschichte, denn er beschreibt die Herrschaft der Vollidioten. Dass diese Thematik aktueller denn je ist, brauch ich vermutlich nicht näher zu erklären. Wir lassen uns von der dunklen Wasseroberfläche täuschen und vermuten ein tiefgründiges Gewässer. Aber, was an der Oberfläche als dunkel erscheint, ist meistens nicht tief, sondern einfach nur dreckig.

In einem Sprichwort heißt es: „Kinder suchen immer nach dem Geheimnis jenseits des Spiegels. Nur wir Erwachsenen begnügen uns mit unserer flachen Vordergründigkeit.“ Wir kämpfen gegen Zivilisationskrankheiten wie Depressionen und Burnout. Dabei sollten wir gegen die größte Krankheit von allen kämpfen: Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit. Das ist kein esoterisches Blabla, sondern wissenschaftlich schon längst belegt, dass tiefe Beziehungen zu anderen Menschen für unsere Gesundheit elementar sind.

Quelle: Ingo Kutsche

In meinem Leben gab es eine Menge Menschen, die auf Grund meiner körperlichen Behinderungen bei Geburt gesagt haben: „Der Junge will laufen? Niemals!“ Menschen, die auf Grund einer ADHS-Diagnose behauptet haben: „Der Junge will in die Schule? Ausgeschlossen!“ Diese Menschen waren gar nicht bereit, in die Tiefe zu gehen, denn an der Oberfläche ist es viel angenehmer. Aber halt nur im ersten Moment, denn wirklich erfüllend ist es eben auch nicht. Aber wären da nicht ein paar Menschen gewesen, die wirklich bereit waren, in die Tiefe zu gehen, dahin zu gehen, wo es auch mal unangenehm ist, dann würde ich heute weder laufen können, noch würde ich hier sitzen und diese Kolumne schreiben.

Schau Dir an, was unter der Oberfläche liegt, denn wenn Du Dich nur in die Blüten einer Pflanze verliebst, dann weißt Du im Herbst nicht mehr, was Du mit den Wurzeln anfangen sollst. Hinterfrage die Dinge, bohre in die Tiefe, beurteile Menschen nach dem zweiten, dritten und vierten Eindruck und sei vor allem einfach mal der, der Du wirklich bist. Ohne Maske. Ohne Fassade. Denn Du wirst es nicht vermeiden können, dass die schöne Fassade früher oder später ohnehin abbröckelt und dann solltest Du eine gute Grundierung haben, sonst schaut‘s scheiße aus.

 

Dein Florian Wildgruber

 

 

 

29.03.2022

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